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Chicago, Freitag, 23. Sept. 81

Mein liebes gutes Weib.

Heute habe ich Deinen Brief aus Dessau vom 7. Sept. erhalten und er hat mir eine ungemischte Freude gemacht, weil daraus doch einmal wieder Deine alte Munterkeit und Lebenslust herausschaut. Recht sehr hat mich gefreut, daß Du mit Eddy nun doch in Zerbst gewesen bist und daß dieser nun ebenso wohl von seinem Vater weiß, wo er herstammt und jung war, wie von seiner Mutter. Es ist ja möglich, daß auf Kinder dergleichen keinen besondern Eindruck macht, immerhin thut es den Eltern wohl, mit ihren eigenen Jugend = Erinnerungen die ihrer Kinder in eine gewisse Beziehung gebracht zu sehen. - Wie gerne wäre ich mit in Zerbst gewesen und hätte auch das bestimmte Zimmer gezeigt, in welchem ich zwei Jahre mein dornenvolles Regiment als Kloster = Senior führte, - vielleicht auch den "Berg" vor dem Haidethor, wo ich, Angesichts des Grabes meiner Mutter, außer mir über die greulichen Mißhandlungen, welchen ich von den rohen Burschen und - in moralischer Beziehung - von Köhler ausgesetzt war, inmitten eines furchtbaren Gewitters "zum Himmel flehte", daß er mir einen erlösenden Blitz senden sollte! - Ja wohl, so ging's mir damals, als ich noch kein älter Zweihundertpfünder wie jetzt, sondern ein armseliges, frühreifes Jüngelchen, wie Eddy war. Ihn möchte ich gleich schweren Prüfungen nicht aussetzen, weil es ein va banque - Spiel wäre. Manchmal gewinnt man bei solchem Spiel, aber manchmal auch nicht! - Und dann bedenke dies: die heutige deutsche Jugend ist in ihren Anschauungen wesentlich eine reaktionäre; eine kaiserlich popokriecherische und antisemitische: - daß ein in Amerika von Eltern, wie mir, geborener Junge sich die Anschauungen dieser jeunesse dorée aneignen sollte (und er würde es in