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Deinen Brief vom 1. März erhielt ich wenige Tage nachdem ich einen Brief nebst Porträt von meiner Frau u. mir, so wie einige andere Kleinigkeiten an Schwester Sophie geschickt hatte. Ich hoffe, daß diese Sendung, welche Hr. Meyerheim von Jeßnitz auf seiner Reise von hier nach Leipzig mitnahm, an [[deleted: D[ich]]] ihre Addresse gelangt sein wird. Wenn Du den Brief von mir lesen solltest, so erwarte ich, daß Du in Bezug auf verschiedene darin erwähnte Punkte discret seiest. Man pflegt in Deutschland im Allgemeinen Briefe aus Amerika als eine Art Gemeingut zu betrachten und gern Anderen mitzutheilen. Einigen Freunden von mir sind auf diese Weise manche Verdrießlichkeiten entstanden. Denn die Communication von dort hier herüber ist sehr rasch. – Doch das beiläufig. | Deinen Brief vom 1. März erhielt ich wenige Tage nachdem ich einen Brief nebst Porträt von meiner Frau u. mir, so wie einige andere Kleinigkeiten an Schwester Sophie geschickt hatte. Ich hoffe, daß diese Sendung, welche Hr. Meyerheim von Jeßnitz auf seiner Reise von hier nach Leipzig mitnahm, an [[deleted: D[ich]]] ihre Addresse gelangt sein wird. Wenn Du den Brief von mir lesen solltest, so erwarte ich, daß Du in Bezug auf verschiedene darin erwähnte Punkte discret seiest. Man pflegt in Deutschland im Allgemeinen Briefe aus Amerika als eine Art Gemeingut zu betrachten und gern Anderen mitzutheilen. Einigen Freunden von mir sind auf diese Weise manche Verdrießlichkeiten entstanden. Denn die Communication von dort hier herüber ist sehr rasch. – Doch das beiläufig. | ||
Ich sollte freilich gleich mit einer Entschuldigung für meine Versäumniß auf Deinen vorletzten Brief zu antworten, beginnen. Die Wahrheit zu sagen, fehlt es mir an jeder Entschuldigung. Wenigstens weiß ich keine bessere als die, daß wer den Tag über 7– 8 Stunde[[n]] mit der leidigen Schreiberei und Leserei geplagt ist, nicht noch gern in den Mußestunden zur Feder greift, ausgenommen wenn ganz spezielle u. dringende Veranlassung vorliegt. Als ich noch bauerte, kannte ich Abends, wenn ich steif, lahm u. mit zitternden Händen nach Hause kam, kein größeres [[Ver]]gnügen, als mich an den Schreibtisch meines „boss“ zu setzen u. ellenlange Episteln, wo möglich mit Illustrationen zu schreiben. Aber jetzt, wo mein laufendes Geschäft die Schreiberei ist, möchte ich zur Belohnung lieber Holz sägen oder pflügen. | Ich sollte freilich gleich mit einer Entschuldigung für meine Versäumniß auf Deinen vorletzten Brief zu antworten, beginnen. Die Wahrheit zu sagen, fehlt es mir an jeder Entschuldigung. Wenigstens weiß ich keine bessere als die, daß wer den Tag über 7– 8 Stunde[[n]] mit der leidigen Schreiberei und Leserei geplagt ist, nicht noch gern in den Mußestunden zur Feder greift, ausgenommen wenn ganz spezielle u. dringende Veranlassung vorliegt. Als ich noch bauerte, kannte ich Abends, wenn ich steif, lahm u. mit zitternden Händen nach Hause kam, kein größeres [[Ver]]gnügen, als mich an den Schreibtisch meines „boss“ zu setzen u. ellenlange Episteln, wo möglich mit Illustrationen zu schreiben. Aber jetzt, wo mein laufendes Geschäft die Schreiberei ist, möchte ich zur Belohnung lieber Holz sägen oder pflügen. | ||
Doch alle diese Erwägungen reichen – ich weiß es wohl – nicht zur Entschuldigung meiner Nachlässigkeit hin. Nimm also dazu noch diese, daß der Charakter meines Geschäftes von der Art ist, mir nur äußerst selten | Doch alle diese Erwägungen reichen – ich weiß es wohl – nicht zur Entschuldigung meiner Nachlässigkeit hin. Nimm also dazu noch diese, daß der Charakter meines Geschäftes von der Art ist, mir nur äußerst selten jene behagliche Muße zu gewähren, die zum freundschaftlichen brieflichen Verkehr mit entfernten Freunden einladet. Der rastlose Wechsel der Tagesbegebenheiten, die beständige fieberhafte Spannung in welche uns die eifrige Verfolgung der Erörterung laufender politischer Fragen versetzt, die übergroße Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen, von denen man Act zu nehmen oder über die man gar zu Gericht zu sitzen hat, – alles das läßt einen amerikanischen Journalisten nicht in die ruhige Stimmung kommen die zum Briefschreiben gehört. Und wenn er schließlich doch einmal zur Feder greift, so ist er noch immer in Gefahr, eine Art von Leitartikel zu machen, anstatt sich in gemüthlichem Geplauder zu ergehen. | ||
[[top margin, upside down:]] Nachschrift: Du erwähnst in Deinem Briefe, daß Du unterm 3. October 1853 an mich geschrieben habest. Diesen Brief aber habe ich nicht erhalten; der letzte den ich habe, ist vom August 53 | [[top margin, upside down:]] Nachschrift: Du erwähnst in Deinem Briefe, daß Du unterm 3. October 1853 an mich geschrieben habest. Diesen Brief aber habe ich nicht erhalten; der letzte den ich habe, ist vom August 53 |
Revision as of 16:46, 16 April 2020
New York, 30 April 1855 Mein lieber Bruder Deinen Brief vom 1. März erhielt ich wenige Tage nachdem ich einen Brief nebst Porträt von meiner Frau u. mir, so wie einige andere Kleinigkeiten an Schwester Sophie geschickt hatte. Ich hoffe, daß diese Sendung, welche Hr. Meyerheim von Jeßnitz auf seiner Reise von hier nach Leipzig mitnahm, an [[deleted: D[ich]]] ihre Addresse gelangt sein wird. Wenn Du den Brief von mir lesen solltest, so erwarte ich, daß Du in Bezug auf verschiedene darin erwähnte Punkte discret seiest. Man pflegt in Deutschland im Allgemeinen Briefe aus Amerika als eine Art Gemeingut zu betrachten und gern Anderen mitzutheilen. Einigen Freunden von mir sind auf diese Weise manche Verdrießlichkeiten entstanden. Denn die Communication von dort hier herüber ist sehr rasch. – Doch das beiläufig. Ich sollte freilich gleich mit einer Entschuldigung für meine Versäumniß auf Deinen vorletzten Brief zu antworten, beginnen. Die Wahrheit zu sagen, fehlt es mir an jeder Entschuldigung. Wenigstens weiß ich keine bessere als die, daß wer den Tag über 7– 8 Stunden mit der leidigen Schreiberei und Leserei geplagt ist, nicht noch gern in den Mußestunden zur Feder greift, ausgenommen wenn ganz spezielle u. dringende Veranlassung vorliegt. Als ich noch bauerte, kannte ich Abends, wenn ich steif, lahm u. mit zitternden Händen nach Hause kam, kein größeres Vergnügen, als mich an den Schreibtisch meines „boss“ zu setzen u. ellenlange Episteln, wo möglich mit Illustrationen zu schreiben. Aber jetzt, wo mein laufendes Geschäft die Schreiberei ist, möchte ich zur Belohnung lieber Holz sägen oder pflügen. Doch alle diese Erwägungen reichen – ich weiß es wohl – nicht zur Entschuldigung meiner Nachlässigkeit hin. Nimm also dazu noch diese, daß der Charakter meines Geschäftes von der Art ist, mir nur äußerst selten jene behagliche Muße zu gewähren, die zum freundschaftlichen brieflichen Verkehr mit entfernten Freunden einladet. Der rastlose Wechsel der Tagesbegebenheiten, die beständige fieberhafte Spannung in welche uns die eifrige Verfolgung der Erörterung laufender politischer Fragen versetzt, die übergroße Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen, von denen man Act zu nehmen oder über die man gar zu Gericht zu sitzen hat, – alles das läßt einen amerikanischen Journalisten nicht in die ruhige Stimmung kommen die zum Briefschreiben gehört. Und wenn er schließlich doch einmal zur Feder greift, so ist er noch immer in Gefahr, eine Art von Leitartikel zu machen, anstatt sich in gemüthlichem Geplauder zu ergehen.
top margin, upside down: Nachschrift: Du erwähnst in Deinem Briefe, daß Du unterm 3. October 1853 an mich geschrieben habest. Diesen Brief aber habe ich nicht erhalten; der letzte den ich habe, ist vom August 53