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Sonntag, 20. November Abends  
Sonntag, 20. November Abends  


Man weiß doch nicht,
Man weiß doch nicht, wozu manchmal Manches gut ist. Wärest
Du, nach meiner ursprünglichen Rechnung gestern hier angekommen,
so würdest Du einen trübseligen Sonntag mit mir verlebt haben. Denn der
Schnupfen, oder die Grippe, wie Du es nun nennen magst, hat mich gestern und
heute ganz schändlich gepackt, so daß ich kaum aus den Augen sehen
konnte, Ohren und Nase mir verquollen, alle Gelenke wie gelähmt waren
und zum Theil noch sind. - Freilich ist das Alles mehr lächerlich, als
gefährlich, allein gewiß ist so viel, daß ein Mensch in diesem Zustande
wenig geeignet ist, Gattin und Sohn nach fünfmonatlicher Abwesenheit
in solcher Weise zu empfangen, wie sie zu erwarten berechtigt sind
So ungefähr, wie ich mich gestern und heute befinde, stelle ich mir die
Seekrankheit vor: fürchterlichste Erschlaffung, unsägliche Lebensmüdigkeit und
völlige Gleichgültigkeit gegen Alles. - Nun, im Laufe dieser Woche werde
ich ja wohl darüber hinauskommen und bei Deiner Ankunft all right sein.
 
In diesem Augenblicke schläfst Du schon die zweite Nacht auf
See. Da, wenn Du diese Zeilen liest, alle Gefahren ja glücklich überstanden sind,
will ich doch nicht verhehlen, daß ich recht viel Angst wegen der Seefahrt
empfinde. Nicht eben daß ich an Schiffbruch dächte, wohl aber daran, daß eine stürmische
und leidensvolle Fahrt allen Gewinn für Deine Gesundheit, welchen Dir
die Reise in Europa eingebracht hat, zu nichte machen werde und daß also,
so weit Deine Gesundheit in Betracht kommt, die ganze Reise "für die Katz" gewesen wäre
Übrigens, selbst im schlimmsten Falle dürfte wohl die Fahrt so abscheulich
und schrecklich nicht werden, wie es fast alle Herüberfahrten im Oktober
gewesen sind. Frank Wilkie, der im Oktober von London herüberkam, schildert
die Fahrt als eine entsetzliche und auch der "geheimnißvolle" Jansen,
der um die gleiche Zeit herüberkam, versichert, er wünsche seinem ärgsten Feinde
keine solche Fahrt. Die zweite Hälfte des November und Dezember dagegen gelten
allgemein nebst Mai und Juni für die allergünstigste, d. h. sturmloseste Fahrzeit.
Ich lege Dir aus der heutigen Tribune (an welche Wilkie von der Times vorübergegangen
ist) seine Schilderung der Seefahrt bei. Es wird Dir jetzt, wo Du im Trockenen bist,
vielleicht eine angenehme Lectüre sein, wenn Du Zeit dazu hast. - Für heute bye bye, - ich muß zu schwitzen
[[?]].

Latest revision as of 12:33, 12 December 2022

Sonntag, 20. November Abends

Man weiß doch nicht, wozu manchmal Manches gut ist. Wärest Du, nach meiner ursprünglichen Rechnung gestern hier angekommen, so würdest Du einen trübseligen Sonntag mit mir verlebt haben. Denn der Schnupfen, oder die Grippe, wie Du es nun nennen magst, hat mich gestern und heute ganz schändlich gepackt, so daß ich kaum aus den Augen sehen konnte, Ohren und Nase mir verquollen, alle Gelenke wie gelähmt waren und zum Theil noch sind. - Freilich ist das Alles mehr lächerlich, als gefährlich, allein gewiß ist so viel, daß ein Mensch in diesem Zustande wenig geeignet ist, Gattin und Sohn nach fünfmonatlicher Abwesenheit in solcher Weise zu empfangen, wie sie zu erwarten berechtigt sind So ungefähr, wie ich mich gestern und heute befinde, stelle ich mir die Seekrankheit vor: fürchterlichste Erschlaffung, unsägliche Lebensmüdigkeit und völlige Gleichgültigkeit gegen Alles. - Nun, im Laufe dieser Woche werde ich ja wohl darüber hinauskommen und bei Deiner Ankunft all right sein.

In diesem Augenblicke schläfst Du schon die zweite Nacht auf See. Da, wenn Du diese Zeilen liest, alle Gefahren ja glücklich überstanden sind, will ich doch nicht verhehlen, daß ich recht viel Angst wegen der Seefahrt empfinde. Nicht eben daß ich an Schiffbruch dächte, wohl aber daran, daß eine stürmische und leidensvolle Fahrt allen Gewinn für Deine Gesundheit, welchen Dir die Reise in Europa eingebracht hat, zu nichte machen werde und daß also, so weit Deine Gesundheit in Betracht kommt, die ganze Reise "für die Katz" gewesen wäre Übrigens, selbst im schlimmsten Falle dürfte wohl die Fahrt so abscheulich und schrecklich nicht werden, wie es fast alle Herüberfahrten im Oktober gewesen sind. Frank Wilkie, der im Oktober von London herüberkam, schildert die Fahrt als eine entsetzliche und auch der "geheimnißvolle" Jansen, der um die gleiche Zeit herüberkam, versichert, er wünsche seinem ärgsten Feinde keine solche Fahrt. Die zweite Hälfte des November und Dezember dagegen gelten allgemein nebst Mai und Juni für die allergünstigste, d. h. sturmloseste Fahrzeit. Ich lege Dir aus der heutigen Tribune (an welche Wilkie von der Times vorübergegangen ist) seine Schilderung der Seefahrt bei. Es wird Dir jetzt, wo Du im Trockenen bist, vielleicht eine angenehme Lectüre sein, wenn Du Zeit dazu hast. - Für heute bye bye, - ich muß zu schwitzen ?.