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Meine Liebste
Meine Liebste
Bis auf eine Viertel oder halbe Stunde habe ich nun
wieder einmal einen einsamen Abend hinter mir;
doch ehe ich ins Bett gehe, kann ich doch dem Antriebe nicht
widerstehen, einige Worte mit Dir zu plaudern. Heute früh
10 Uhr erhielt ich Dein Telegramm aus Dessau "All well"
und beantwortete es um 2 Uhr mit: "Alles gut". Du wirst
das am Freitag früh zum Kaffee erhalten haben. Wenn wir
mit solchem Telegramm=Austausch, der doch in der That alles
wirklich Wichtige besagt, uns begnügt hätten, anstatt uns
nach dem Muster von Sterne's "Sentimental journey"
oder Tristram Shandy alle unsre Stimmungen mitzutheilen, würden
wir uns weit weniger gegenseitig gequält haben. Diese
Empfindungsschreiberei ist im Grunde genommen nichts anderes
als ein Unglück. Und noch mehr für mich , als für Dich,
weil ich fest davon überzeugt bin, daß bei Dir die trübseliger
Eindrücke nur entstehen, wenn und nur so lange
bestehen, wie Du schreibst, während sie bei mir haften
und fressen wie ein Eitergeschwür. - In den 11 Tagen seit
dem 2. Oktober, wo Du mir von Heidelberg telegraphirtest und
[[top of page; written upside down:]] Freitag, 14. Oktober. N. M. - Heute haben wir zum
erstenmale richtiges Herbstwetter, grauen Himmel,
naßkalten "drizzle", der in scharfen Strichregen
übergeht, kaum + 7 oder 8° R. Es ist Wetter, bei
welchem daß Gemüth recht düster wird. Meine Sehnsucht
nach Dir wird eine ganz unbändige, fast grimmige und ich
weiß gar nicht, wie ich es bis zu Deiner Rückkunft aushalten soll. Nun, es wird und muß ja überstanden werden
mit Hülfe der Kinder. Nachher aber wollen wir auch stets zusammen bleiben "until death do us part", wie es in der englischen
Trauformel heißt. [[/top of page; written upside down]]

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40)

Editorial Rooms of the Illinois Staats=Zeitung

Hermann Raster, Editor-in-Chief.

Chicago, 13. Oktober 1881 Abends 10.45

Meine Liebste

Bis auf eine Viertel oder halbe Stunde habe ich nun wieder einmal einen einsamen Abend hinter mir; doch ehe ich ins Bett gehe, kann ich doch dem Antriebe nicht widerstehen, einige Worte mit Dir zu plaudern. Heute früh 10 Uhr erhielt ich Dein Telegramm aus Dessau "All well" und beantwortete es um 2 Uhr mit: "Alles gut". Du wirst das am Freitag früh zum Kaffee erhalten haben. Wenn wir mit solchem Telegramm=Austausch, der doch in der That alles wirklich Wichtige besagt, uns begnügt hätten, anstatt uns nach dem Muster von Sterne's "Sentimental journey" oder Tristram Shandy alle unsre Stimmungen mitzutheilen, würden wir uns weit weniger gegenseitig gequält haben. Diese Empfindungsschreiberei ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Unglück. Und noch mehr für mich , als für Dich, weil ich fest davon überzeugt bin, daß bei Dir die trübseliger Eindrücke nur entstehen, wenn und nur so lange bestehen, wie Du schreibst, während sie bei mir haften und fressen wie ein Eitergeschwür. - In den 11 Tagen seit dem 2. Oktober, wo Du mir von Heidelberg telegraphirtest und

top of page; written upside down: Freitag, 14. Oktober. N. M. - Heute haben wir zum erstenmale richtiges Herbstwetter, grauen Himmel, naßkalten "drizzle", der in scharfen Strichregen übergeht, kaum + 7 oder 8° R. Es ist Wetter, bei welchem daß Gemüth recht düster wird. Meine Sehnsucht nach Dir wird eine ganz unbändige, fast grimmige und ich weiß gar nicht, wie ich es bis zu Deiner Rückkunft aushalten soll. Nun, es wird und muß ja überstanden werden mit Hülfe der Kinder. Nachher aber wollen wir auch stets zusammen bleiben "until death do us part", wie es in der englischen Trauformel heißt. /top of page; written upside down