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Doch was schreibe ich da? Wenn Grund zu meinen dummen  
Doch was schreibe ich da? Wenn Grund zu meinen dummen  
Phantastereien vorhanden wäre, würde ja ohnehin jedes Wort verloren
Phantastereien vorhanden wäre, würde ja ohnehin jedes Wort verloren
sein,
sein, das ich darüber sagte; Du würdest dann Dir gar nicht die
Mühe geben, meinen Brief sorgfältig durchzulesen, noch weniger die, ihn zu
beantworten.
 
Ich schmachte aber förmlich nach Briefen von Dir. Hoffentlich werde
ich nicht, wie sonst bisher Deine Mutter, Grund zur Klage darüber erhalten,
daß Du nicht schreibst. An Stoff kann es Dir doch nicht fehlen und
an Zeit auch kaum. Bedenke, daß jeder Moment, welchen Du drüben,
fern von mir, in neuer Umgebung erlebst, mir interessant ist, während
ich Dir nichts als Alltäglichkeiten schreiben kann, welche Du Dir bei
Deiner lebhaften Einbildungskraft leicht selbst zusammendichten könntest.
 
Menschen gesehen, für die Du Dich interessirst, habe
ich seit dem Tage meiner Rückkehr von New York keinen. Mein ganzer
Umgang ist auf die Tischgesellschaft um 1 Uhr (Hemberle, der Schuhfabrikant
Weber, [[Fechtaler?]] und zuweilen Fritz Baumann) zusammen
geschmolzen. - "Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach, der ist bald allein;
ein Jeder lebt, ein Jeder liebt und läßt ihr seiner Pein." - Auch im
Hause geht es, da Frau Hansen noch immer leidet (sie ist heute ein paar
Stunden aufgestanden, doch hülflos schwach) fast entsetzlich still zu. Wohl, zur
Beruhigung der Nerven ist das vielleicht gut, doch auch Arznei, die gut ist kann
recht schlecht schmecken. Wer weiß, ob ich nicht unter dem Einfluß dieser Arznei mich
so allmählich verkrümeln werde. Alt genug bin ich ja, um überflüssig zu sein
und gesorgt ist ja für Dich und die Kinder von Deinem Alten H R.

Latest revision as of 21:01, 15 August 2022

fast jede Nacht die tollsten und widerwärtigsten Phantasien von ... Liebesabenteuern von Dir mischen. Was kann man gegen Träume thun? Wie ein Wagner'sches ? kommt mir immer wieder der Inhalt der Heigel'schen Erzählung "Wohin?" vor die Einbildungskraft. Es mag ja Alles Unsinn sein, aber schließlich ist es eben solcher Unsinn, der das Gemüthsleben des Menschen bestimmt, besonders, wenn ohnehin schon die Neigung zur Schwarzseherei vorhanden ist.

Doch was schreibe ich da? Wenn Grund zu meinen dummen Phantastereien vorhanden wäre, würde ja ohnehin jedes Wort verloren sein, das ich darüber sagte; Du würdest dann Dir gar nicht die Mühe geben, meinen Brief sorgfältig durchzulesen, noch weniger die, ihn zu beantworten.

Ich schmachte aber förmlich nach Briefen von Dir. Hoffentlich werde ich nicht, wie sonst bisher Deine Mutter, Grund zur Klage darüber erhalten, daß Du nicht schreibst. An Stoff kann es Dir doch nicht fehlen und an Zeit auch kaum. Bedenke, daß jeder Moment, welchen Du drüben, fern von mir, in neuer Umgebung erlebst, mir interessant ist, während ich Dir nichts als Alltäglichkeiten schreiben kann, welche Du Dir bei Deiner lebhaften Einbildungskraft leicht selbst zusammendichten könntest.

Menschen gesehen, für die Du Dich interessirst, habe ich seit dem Tage meiner Rückkehr von New York keinen. Mein ganzer Umgang ist auf die Tischgesellschaft um 1 Uhr (Hemberle, der Schuhfabrikant Weber, Fechtaler? und zuweilen Fritz Baumann) zusammen geschmolzen. - "Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach, der ist bald allein; ein Jeder lebt, ein Jeder liebt und läßt ihr seiner Pein." - Auch im Hause geht es, da Frau Hansen noch immer leidet (sie ist heute ein paar Stunden aufgestanden, doch hülflos schwach) fast entsetzlich still zu. Wohl, zur Beruhigung der Nerven ist das vielleicht gut, doch auch Arznei, die gut ist kann recht schlecht schmecken. Wer weiß, ob ich nicht unter dem Einfluß dieser Arznei mich so allmählich verkrümeln werde. Alt genug bin ich ja, um überflüssig zu sein und gesorgt ist ja für Dich und die Kinder von Deinem Alten H R.